Nachrichten aus dem Kreisverband

Coronaskeptiker und Querdenker

Dr.Peter Behnen

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

BERLIN, KONSTANZ, LEIPZIG- EIN ZUG DER CORONA-SKEPTIKER UND „QUERDENKER“ ZIEHT DURCH DAS LAND (1).

Seit Wochen finden in der Bundesrepublik Demonstrationen von Corona-SkeptikerInnen und sogenannten „Querdenkern“ statt. Am 29.August 2020 beispielsweise fand in Berlin eine Demonstration nach Angaben der Polizei von ca. 50000 Personen statt. Gefordert wurde ein Ende der staatlichen Einschränkungen, die aufgrund der Corona-Pandemie verfügt worden waren. Aufgerufen zur Demonstration hatte die Initiative „Querdenken711“ aus Stuttgart mit ihrem Sprecher Michael Ballweg. Die Demonstration wurde unter der Parole „Berlin invites Europe-Fest für Freiheit und Frieden“ veranstaltet. Unter den Demonstranten waren auch ca. 3000 Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum von Reichsbürgern, Antisemiten, Identitären, NPD-Aktivisten und der QAnon- Bewegung aus den USA. Aus dem Kreis der rechtsradikalen Szene durchbrachen mehrere Hundert Demonstranten die Absperrungen am Reichstagsgebäude, um sich mit Reichskriegsflaggen symbolträchtig vor dem Gebäude aufzubauen. Deutlicher konnte die Ablehnung der bürgerlich-demokratischen Verfasstheit der Bundesrepublik nicht demonstriert werden. Damit war das Konzept des Berliner Innensenators Geisel gründlich gescheitert, der im Vorfeld der Demonstration ein Versammlungsverbot erwirkt hatte, das jedoch von den Verwaltungsgerichten aufgehoben worden war. Geisel hatte das Versammlungsverbot aufgrund der Erfahrungen erlassen, die vier Wochen vorher mit demselben Veranstalter gemacht worden waren. Auch damals wurden die Auflagen, Abstand zu halten und Masken zu tragen offensiv verweigert. Die Demonstration am 29. August 2020 konnte also auf Basis des Gerichtsbeschlusses stattfinden, wurde aber aufgelöst, als wiederum Abstandsregeln und Maskenpflicht nicht eingehalten wurden. Trotzdem wurden am gleichen Tag mehrere Kundgebungen abgehalten, bei denen Michael Ballweg behauptete, der Berliner Senat trete das Grundgesetz mit Füßen und forderte deshalb den Rücktritt des Senats. Er schlug eine Brücke zu den rechtsradikalen TeilnehmerInnen, indem er eine neue Verfassung für die Bundesrepublik forderte und meinte, das Volk müsse wieder die Macht ergreifen. Jan Rathke, seines Zeichens Politikwissenschaftler bei der Amadeus- Antonio- Stiftung, stellte zu Recht fest, dass im Gegensatz zu den Pegida- Demonstrationen, bei denen der Rassismus im Vordergrund stand, es nun eher um einen Staat gehe, der sich gegen seine Bürger verschworen habe. Insoweit bestehe ein Konsens zwischen vielen Corona- SkeptikerInnen und rechtsradikalen Bewusstseinsformen und Organisationen.

Ähnliche Beobachtungen und Analysen wurden u.a. bei einer Demonstration in Konstanz Anfang Oktober gemacht. Mirjam Moll vom Südkurier, die der Veranstaltung beigewohnt hatte, schrieb, dass es sich um kein einfaches Festival gehandelt habe. Die Botschaften auf den Plakaten und vor allem aber die Redner auf der Bühne hätten sehr deutlich gemacht, dass es nicht nur um eine Kritik an den Corona-Maßnahmen gehe. Angela Merkel und Jens Spahn wurden als „Verfassungsverbrecher“ bezeichnet, es gehe um eine Freiheit gegen „Merkels DDR 2.0“. Die Statistiken des RKI wurden in Zweifel gezogen, mehr als 80% der Bevölkerung seien bereits immun. Eine Breitbandkritik gegen die Regierung, die Presse und eine „böse Macht“ sei notwendig. Deutlich wird laut Mirjam Moll, dass das Corona-Thema nur der Anlass für viele Redner gewesen sei, rechtextreme Ideologien zu verbreiten. Auch Michael Ballweg habe sich klar als Gegner der Verfassung positioniert.

Am 7.-9.November 2020 fand in Leipzig eine weitere Demonstration der „Querdenker“ statt, wobei die Veranstaltung gleich mit den Leipziger Ringdemos von 1989 vermengt wurde. Wieder kamen 40000- 50000 DemonstrantInnen zusammen, darunter wiederum mit Verschwörungsideologen, Rechtsextremen und gewaltbereiten Hooligans. Die „Querdenker“ präsentierten sich als Sammlungsbewegung für alle, die sich durch die Parteien des demokratischen Spektrums nicht mehr vertreten sahen. Es zeigte sich auch in Leipzig, dass eine zunehmende Radikalisierung der Bewegung stattfindet, mit Wut auf die Eliten, die die Corona-Maßnahmen verordnet haben.

Noch ist die politisch organisierte Rechte eine Minderheit, allerdings wäre es fahrlässig davon auszugehen, dass das so bleiben wird. Rationale Argumente prallen bei den Demonstrantinnen ab, bloße Appelle werden wahrscheinlich ein Anwachsen der Proteste und die Radikalisierung kaum verhindern können. Gleichwohl gibt es keine Alternative zur Aufklärung über die gesundheitliche Gefahr der Pandemie, zur Befolgung von Schutzmaßnahmen und die Notwendigkeit sinnvolle Impfungen durchzuführen. Noch wichtiger aber für die demokratische Zivilgesellschaft ist es, sich mit den gesellschaftlichen Widersprüchen und sozialen Ungleichheiten auseinanderzusetzen. Starke soziale Ungleichheiten gab es schon vor der Pandemie, doch sie wurden noch weiter verschärft durch die Pandemie. Das ist abzulesen an der Ungleichverteilung der Einkommen und Vermögen, die zum Teil krasser ist als in anderen EU-Ländern. Der Unmut vieler BürgerInnen über soziale Verwerfungen verstärkt durch die Pandemie sollte mit offenen Diskussionen über Alternativen beantwortet werden. Das schließt nicht aus, sinnvolle Einschränkungen bestimmter Freiheitsrechte auf demokratische Weise, also durch das Parlament, durchzusetzen.

(1)Dem Aufsatz liegen zugrunde: Bischoff u.a. Sozialismus aktuell vom 2.9.20 und 10.11.20 sowie Mirjam Moll vom Südkurier vom 5.10.20