Nachrichten aus dem Kreisverband

Das afghanische Debakel

Peter Dr.Behnen

Dr. Peter Behnen

Die Linke Freiburg

 

AFGHANiSTAN- WIE ÖKONOMIE, IDEOLOGIE UND POLITIK EIN LAND ZERSTÖREN (1)

Der Rückzug der amerikanischen Truppen und der Nato-Truppen insgesamt aus Afghanistan lässt die afghanische Gesellschaft im Chaos zurück. Die Masse der Bevölkerung ist weiter bettelarm, ein Viertel der Bevölkerung ist unterernährt und es fehlt eine leistungsstarke Landwirtschaft. Nur die Hälfte der afghanischen Jungen und ein Viertel der Mädchen besuchen eine Schule. Besonders Frauen und Mädchen erfahren täglich Menschenrechtsverletzungen. Es zeigt sich sehr deutlich, auch und gerade nach einer zwanzigjährigen Militärintervention des Westens, dass sich Afghanistan weiter auf einem äußerst geringen Entwicklungsniveau befindet.

Die Frage ist allerdings, worin die tieferen Gründe für diese Entwicklung liegen?

Festzuhalten ist, dass die afghanische Gesellschaft keine kapitalistische Produktionsweise mit einer bürgerlich-demokratischen politischen Ordnung aufweist. Es handelt sich um eine vorbürgerliche Produktionsweise, bei der die Hälfte der Bauern noch Subsistenzwirtschaft betreibt. Es liegt eine Stammesgesellschaft vor, die auf Verwandtschaftsbeziehungen basiert, die zugleich mit politischen, patriarchalen und religiösen Strukturen verbunden sind. Es fehlt eine klare Unterscheidung von ökonomischer Basis und Überbaustrukturen, wie wir sie aus kapitalistischen Gesellschaften kennen. Afghanistan als Stammesgesellschaft besteht aus über 50 Ethnien, von denen die Paschtunen den größten Stamm bilden und die Führung des Landes beanspruchen. An der Stammesversammlung (Jirga) nehmen alle männlichen Stammesmitglieder teil, in der zwar nach dem Konsensprinzip entschieden werden soll, aber die Paschtunen sich in der Regel durchsetzen können. Frauen haben wenig Rechte und haben häufig Rechtsverletzungen und Gewalt zu erleiden.

Dieser gesellschaftliche Hintergrund ist als Folie zum Verständnis der Gesellschaft Afghanistans und auch ihrer jüngeren Geschichte zu nehmen. Allerdings in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts stand Afghanistan am Scheideweg zwischen der islamischen Tradition und der Moderne. Es herrschte Frieden und der König Mohammed Sahir Schah forderte demokratische Rechte auch für Frauen. Es entstand eine Bewegung von Studentinnen und Studenten in Kabul, allerdings gespalten in Vertreter des Sozialismus und der islamischen Revolution. Der Konflikt breitete sich aus, die Monarchie ging unter und die kommunistische Partei Afghanistans ergriff die politische Macht. Sie wollte das Land radikal verändern, jedoch mit stalinistischen Methoden ohne Rücksicht auf die tatsächlich vorhandenen gesellschaftlichen Gegebenheiten. Die kommunistische Partei stieß auf den Widerstand der Mudschahedin, die Vorläufer der Taliban, die sich besonders aus Kämpfern vom Land rekrutierten. Sie wurden von Bauern, Viehzüchtern und teilweise auch Nomaden unterstützt und von Anfang an auch finanziell aus den USA. So war es kein Wunder, dass Afghanistan zum Schauplatz des Kalten Krieges zwischen der Sowjetunion und den USA wurden. Die sowjetischen Truppen rückten ein, um die Herrschaft der kommunistischen Partei zu sichern, ein Bürgerkrieg ab 1979 war die logische Folge. Der Konflikt dauerte 10 Jahre und führte 1989 nach einer erfolglosen Intervention zum Abzug der sowjetischen Truppen, oder wie in den USA gesagt wurde, zu einem „Vietnam“ der Sowjetunion. Die Niederlage der Sowjetunion trug zum Zusammenbruch der gesamten Sowjetunion bei, aber auch zur Geburt des islamistischen Fundamentalismus. Der Truppenabzug der Sowjetunion führte nicht zum Frieden in Afghanistan, sondern zu weiteren Kämpfen der Mudschahedin untereinander bis 1994 eine neue Bewegung in die Kämpfe eingriff, die Frieden versprach, die sogenannten Taliban. Sie obsiegten 1996, nachdem sie von den USA aber auch aus Pakistan massiv unterstützt worden waren. Ihr Sieg verwandelte das Land in eine Brutstätte für den radikalen Islamismus und zum Aufenthaltsort für Osama Bin Laden, den Anführer der Al-Kaida. Die USA hatte ihr Antikommunismus wieder einmal in eine Sackgasse geführt, bis es am 9.11.2001 zu einem Terroranschlag in New York kam, für den Osama Bin Laden und die Al-Kaida verantwortlich gemacht wurden. Da die Taliban in Afghanistan Bin Laden weiter schützten, rückte die US-Armee in Afghanistan ein, um die Taliban zu stürzen und Bin Laden zu stellen. Trotz allem begrüßten viele Afghaninnen und Afghanen die ausländischen Truppen voller Hoffnung. Frauen konnten ihre Burkas ablegen und es fanden freie Wahlen statt. Ehemalige Kriegsherren zogen ins Parlament ein mit dem Segen der USA. Andere Taliban wurden ausgeschlossen, ein neuer Aufstand entwickelte sich, trotz massiver Investitionen der USA und anderer Nato-Partner. Die Investitionen erfolgten ohne Plan und flossen in die Taschen von Wenigen. Es herrschte weiter allgemeine Armut, es gab Bildung für Wenige und kaum Wohlstand und Bildung für Landbewohner. Auf dieser Basis regenerierten sich die Taliban und gewannen in schweren Kämpfen das Land Stück für Stück zurück. Der Kampf wurde von beiden Seiten mit großer Brutalität geführt und auch die Zivilbevölkerung hatte hohe Verluste zu beklagen.

Spätestens jetzt hätte klar werden müssen, dass angesichts der oben skizzierten Gesellschaftsstruktur weder ein Sozialismus sowjetischer Prägung noch eine kapitalistische Gesellschaft mit einer parlamentarischen Demokratie verwirklicht werden konnte. Diese Einsicht war es jedoch nicht sondern die Tötung Bin Ladens, die seit 2014 zum langsamen Rückzug der USA von Afghanistan führte. Inzwischen haben die Taliban Kabul und Afghanistan insgesamt zurückgewonnen und die USA und ihre Nato-Verbündeten müssen bis zum 31.8.21 das Land verlassen. Das Gebäude der Illusionen, dem die USA und ihre Verbündeten im 20jährigen Militäreinsatz erlegen sind, ist komplett eingestürzt. Zugleich entstand eine Zäsur für die internationale Politik insgesamt. „Die hastige Beendigung der Militärintervention in Afghanistan hängt auch damit zusammen, dass sich der geo-politische Fokus der USA grundlegend verändert hat.“ (2) Den systemischen Rivalen China gilt es aus Sicht der US-Politik einzudämmen, es geht darum, die Volksrepublik China bei dem Ausbau ihrer Technologien und auch militärischen Kapazitäten zu stoppen. Die Entwicklung in Afghanistan liegt offensichtlich nicht mehr im nationalen Interesse der USA. Es ist deswegen damit zu rechnen, dass China in dieses politische Vakuum stoßen wird, ohne dass mit dem Projekt „Neue Seidenstraße“ das chinesische Modell anderen Nationen aufgedrängt werden soll. Im Zuge der Plattform-Ökonomie ist davon auszugehen, dass China die in Afghanistan vermuteten Bodenschätze (Lithium, Kupfer, seltene Erden etc.) nutzen und im Gegenzug das Taliban-Regime finanziell unterstützen will.

In der Bundesrepublik konzentriert man sich augenblicklich auf die Fehler-analyse zum Afghanistan-Konflikt. Sowohl die CDU/CSU, SPD und die Grünenmüssen sich vorhalten lassen, bis zuletzt die Intervention in Afghanistan unterstützt zu haben und sich vor den Karren der westlichen Außenpolitik haben spannen lassen. Der Partei Die Linke fehlte bisher ein klares außenpolitisches Profil, sie hatte jedoch richtigerweise die Afghanistanpolitik konsequent verurteilt. Die Linke sollte nun in die „Offensive gehen und am afghanischen Desaster beispielhaft klarstellen, um was es im Rahmen einer zukunftsfähigen Außenpolitik primär gehen muss, nämlich um verstärkte internationale Kooperation und nicht um die Bewahrung und den Ausbau technologischer und militärischer Vorherrschaft des Westens.“ (3)

(1)Diesem Aufsatz liegen der Dokumentarfilm „ Afghanistan-Das verwundete Land“ von 2020 und der Aufsatz von Friedrich Steinfeld „ Das afghanische Debakel“ aus Sozialismus aktuell vom 21.8.21 zugrunde.

(2) Friedrich Steinfeld a.a.O. S.4

(3) Friedrich Steinfeld a.a.O. S. 6