Nachrichten aus dem Kreisverband

Das Ende des Kapitalismus?

Dr.Peter Behnen

Die Corona-Krise und die massive Staatsverschuldung sollten Anlass genug sein, grundlegend über unsere Wirtschaftsordnung nachzudenken.

Schon nach der Finanzkrise 2007 entstand die Frage, ob wir uns in einer grundlegenden Krise des Kapitalismus befinden. Es zeigt sich heute, dass die enorme Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus nicht schrankenlos ist. Diese Produktionsweise hat eine unüberschreitbare Schranke, die Entwicklung der Produktivkräfte gerät in einen Wider-spruch zu den Produktionsverhältnissen, es kommt zur gewaltsamen Vernichtung von Kapital mit der Perspektive einer höheren Form der Produktion.

Die Situation heute ist durch schneidende Widersprüche, Krisen und Krämpfe gekennzeichnet, nicht erst seit Beginn der Corona- Krise. Sie nahm ihren Anfang Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, vor allem in den USA als führende kapitalistische Wirtschaftsmacht. Das wachsende Handelsdefizit der USA sorgte für Profite ausländischer Konkurrenten und rund 70 Prozent dieser Profite landete wieder auf US-amerikanischen Finanzmärkten. Die Finanzmärkte wurden dereguliert und das System von Bretton- Woods brach zusammen. Die Weltwirtschaftskrise 1975 gilt inzwischen für viele Ökonomen als das Ende der Nachkriegsprosperität. Lediglich von marxistischer Seite wurde dieser Knotenpunkt als der Beginn einer chronischen Überakkumulation identifiziert, der gekennzeichnet war durch den gleichzeitigen Fall der gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate und der Stagnation und den Rückgang der gesellschaftlichen Profitmasse. Seit dieser Zeit wurde die Spekulation auf den Finanzmärkten Trumpf, das Kapital geriet auf den Weg der Abenteurer. Es gelang allerdings die Globalisierung der Weltwirtschaft bis zur Wirtschafts- und Finanzkrise von 2007 einigermaßen zu stabilisieren. Das globale Finanzsystem wurde nun ausgehend von der Krise am Immobilienmarkt der USA mit in den Abgrund gezogen. Viele Banken hielten zu wenig Liquidität und Kapital, um die notleidend gewordenen Kredite zu bedienen. Die Reaktion vieler Staaten bestand darin, Banken mit Steuergeldern zu retten, aber die US- Wirtschaft konnte den Kapitalismus nicht mehr ins Gleichgewicht bringen. Die Situation heute sieht zusammengefasst so aus:

 

Ultraniedrige Zinsen, fallende Preisentwicklung, die Ersparnisse sind auf einem Rekordhoch, die produktiven Investitionen sind zu niedrig, Gefahr des erneuten Platzens von Kurs- und Vermögensblasen, politische Gefahr des Protektionismus und des Rechtspopulismus.

 

Inzwischen ist von einer „säkularen Stagnation“ die Rede. Der Begriff geht auf Alvin Hansen aus dem Jahre 1939 zurück. Damit gemeint ist eine langanhaltende Wirtschaftsschwäche. Dafür gibt es verschiedene Gründe:

1. Die wachsende Einkommensungleichheit dämpft die gesellschaftliche Nachfrage.

2. Mit hohem Einkommen nehmen die Ersparnisse zu. Es entsteht eine Stagnationstendenz.

3. Die fehlende Konsumtion kann nicht durch Investitionen ausgeglichen werden, weil der Kapitalbestand heute schon sehr hoch ist.

4. Es fehlen ausreichende öffentliche Investitionen, zum Beispiel in die Infrastruktur und die Bildung, als Voraussetzung für eine hohe gesamtwirtschaftliche Produktivität. Es fließen zu viele Gelder in den Schuldendienst.

 

Der direkte Indikator für eine „säkulare Stagnation“ ist also ein dauerhaft niedriges Wachstum des Bruttoinlandprodukts. Das Kapitalangebot ist größer als die Nachfrage nach Krediten für produktive Investitionen. Der Nominalzinssatz beträgt nahe 0 Prozent und es besteht eine Deflations-tendenz auf den Warenmärkten. Unter diesen Bedingungen kann die Arbeitslosigkeit nur schwer abgebaut werden und durch die niedrigen Zinsen werden Kreditblasen, Blasen an den Vermögensmärkten und Spekulationsblasen befördert. Trotzdem bleiben die Zentralbanken bei der Niedrigzinspolitik und der Flutung der Märkte mit Geldkapital, jetzt auch massiv in der Coronazeit. Die Weltwirtschaft jedoch expandiert verhalten, bleibt instabil und schraubt sich weiter in die Tiefe. Gestoppt werden kann dieser Prozess nur durch staatliche Interventionen. Die Alternative zur bisher praktizierten Austeritätspolitik ist ein außergewöhnliches Reformpaket, eine Art New Deal aus Geld-Fiskal und Strukturpolitik. Da die Geldpolitik nicht alleine erfolgreich sein kann, müssen durch die Finanzierung über den Anleihemarkt Infrastrukturprojekte in den USA und Europa in Gang gesetzt werden. Der Nachholbedarf bei der Infrastruktur ist überall groß und das Zinsniveau augenblicklich extrem niedrig. Alle Maßnahmen müssen auch der Stärkung des Massenkonsums und des Ausbaus der sozialen Sicherung dienen verbunden mit einer Steuerpolitik, die Besserverdienende und Spitzenverdiener besonders heranzieht. All das muss in eine längerfristige Strukturpolitik eingebettet werden. Dabei ist eine neue Struktur des Finanzsektors vordringlich, Eingriffe in Geschäftsfelder der Banken eventuell mit Verstaatlichungen sind angesagt. Strikte Kapitalverkehrskontrollen und eine Besteuerung internationaler Finanzströme stehen auf der Tagesordnung. Eine Bereinigung der faulen Schulden muss in einem geordneten Prozess erfolgen. Das gilt auch und gerade nach der Corona-Krise. Die massive Staatsverschuldung ist zurückzuführen, insbesondere dann, wenn dadurch ein überdimensionierter Geldüberhang entstanden ist. Wenn das auf lange Sicht nicht geschieht und der Abbau nicht in einem geordneten Prozess erfolgt, ist damit zu rechnen, dass das Finanz- und Geldsystem erodiert mit katastrophalen Folgen im ökonomischen und sozialen Bereich. Wenn allerdings die staatliche Verschuldung von einer sozial orientierten Steuerpolitik schrittweise abgelöst wird, eine massive Regulierung des Finanzsektors erfolgt und schrittweise eine Relativierung des privaten Profits im realen Sektor durchgeführt wird, eröffnet sich ein Weg zu einer wirtschaftsdemokratischen Ordnung. Es muss heute klar sein, dass wir uns in einer Systemkrise befinden. Deswegen sind Schritte zu einem neuen Wirtschafts- und Finanzsystem unverzichtbar. Die Markt- und Kapitalsteuerung ohne strikte Regulierungen und demokratische Kontrollen werden gesellschaftlich katastrophale Entwicklungen hervorrufen. Dabei steht die Regulierung des Finanzsektors an vorderster Stelle. Marx hat die Bedeutung des Kreditsektors auch zur Systemänderung treffend dargestellt. Einerseits beschleunigt dieser Sektor die Entwicklung der Produktivkräfte und des Weltmarktes andererseits aber auch die Krisenentwicklung und die Auflösung der Produktionsweise. Deswegen muss der kontrollierte Finanzsektor als mächtiger Hebel zur Verwirklichung einer sozialistischen Marktwirtschaft genutzt werden. Das bedeutet, das aktuellen Wirtschaftssystem ist schrittweise durch eine demokratische Organisation des Wirtschaftslebens aufzulösen, ohne allerdings in die grundlegenden Fehler des niedergegangenen Realsozialismus zu verfallen. Andererseits ist nach der Corona-Krise aber auch ein Rückfall in alte neoliberale Zeiten massiv zu bekämpfen. Dazu bedarf es eines überzeugenden Programms der demokratischen Linken, das politisch mehrheitsfähig ist und glaubwürdig vertreten wird.