Nachrichten aus dem Kreisverband

Das politische System der USA in der Krise

Dr.Peter Behnen

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

DAS POLITISCHE SYSTEM DER USA IN DER KRISE (1).

Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA im Jahre 2016 führte zu einer Erschütterung des politischen Systems der USA und legte zugleich seine inhärente Schwäche offen. Trump wurde gewählt zu einer Zeit, als die USA ihre ökonomische und politische Hegemonie teilweise verloren hatten und gegenüber der EU und vor allem China ins Hintertreffen zu kommen drohten. Insoweit war es kein Wunder, dass Trump seinen Wahlkampf 2016 mit nationalistischen Parolen, wie zum Beispiel „Make America great again“, betrieb. Diese Wahlkampfstrategie ist jedoch inzwischen an der gesellschaftlichen Realität gescheitert und lässt sich nicht für den laufenden Wahlkampf 2020 ohne Probleme wiederbeleben.

Von einer blühenden Wirtschaft konnte schon vor der Corona-Pandemie in den USA nicht die Rede sein. Nach der Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) dürfte die USA-Wirtschaft im Jahre 2020 um 4,3% schrumpfen, die Arbeitslosenrate liegt mit 7,9% auf dem höchsten Stand im Vorfeld einer Präsidentenwahl seit 1948. Infolge der Corona-Pandemie gingen über 22 Millionen Arbeitsplätze verloren. Wegen des erneut hohen Infektionsgeschehens geraten immer mehr Unternehmen in Schwierigkeiten. Die Zentralbank (FED) geht davon aus, dass die Arbeitslosenquote in Wirklichkeit bei 10-11% liegt. Trump versucht nun, weil er selbst, seine Frau und ein Teil seines Stabes an Corona erkrankte, die Erkrankung für den Wahlkampf zu nutzen. Er gibt sich als Sieger über den Virus, ein Zynismus angesichts von etwa 200000 Toten und etwa 8 Millionen Infizierten Amerikanern und Amerikanerinnen.

Die Corona-Krise hat allerdings auch das politische System der USA erschüttert und seine Schwächen öffentlich gemacht. Das zeigt sich zum Beispiel beim Kampf um die Besetzung einer Richterstelle am Obersten Gericht. Der Besetzung kommt eine enorme politische Bedeutung zu. Die neun Richter, die auf Lebenszeit ernannt werden, entscheiden häufig bei besonders strittigen politischen Fragen. Bis zum Tod von Ruth Bader Ginsburg, die liberale Werte vertrat, standen sich 5 konservative und 4 eher progressive RichterInnen gegenüber. Es kam in den letzten Jahren häufiger vor, dass bei dieser Konstellation sich die progressiven RichterInnen nicht gegen die konservativen durchsetzen konnten. Das lag u.a. an der Beratungs -und Diskussionskultur des Obersten Gerichts. Im Falle einer strittigen Frage mussten sich alle Richter bzw. Richterinnen nacheinander äußern und dann sofort ihre Stimme abgeben. Eine argumentative Auseinandersetzung war damit nicht möglich, ein Abbau von Differenzen eher unwahrscheinlich. Die Richter bzw. Richterinnen am Obersten Bundesgericht werden vom Präsidenten vorgeschlagen und dann vom amerikanischen Senat bestätigt. Es reicht eine einfache Mehrheit in dem 100-köpfigen Gremium, das heißt, die Republikaner können mit ihrer Mehrheit von 53 Stimmen die konservative Juristin Amy Coney Barret in das Amt befördern. Mit ihr könnten die Konservativen im Obersten Gericht ihre Mehrheit ausbauen, insbesondere dann, wenn die Bestätigung des Senats noch vor der Präsidentschaftswahl erfolgen würde. Eine Stärkung der Konservativen im Obersten Gericht würde die amerikanische Gesellschaft noch weiter nach rechts verschieben. Das betrifft beispielsweise die Frage des Abtreibungsrechts, des Waffenrechts oder auch die Gesundheitsreform Obamas. Auch Trumps Ankündigung, bei seiner Niederlage bei der Präsidentschaftswahl 2020 könne es sich nur um Manipulationen handeln, könnte zur Klärung des Wahlausganges vor dem Obersten Gericht landen.

Dadurch wird deutlich, welches politische Gewicht der Senat besitzt. Jeder Bundesstaat darf unabhängig von seiner Bevölkerungszahl zwei Personen in den Senat entsenden, die dann für 6 Jahre gewählt sind. Das führt zu einem Übergewicht bevölkerungsarmer Staaten im Senat, die dadurch auch ein Übergewicht bei der Gesetzgebung, der Kontrolle des Präsidenten, der Ratifizierung internationaler Verträge und auch beim Amtsenthebungsverfahren des Präsidenten erhalten. Bis 2040 ist damit zu rechnen, wenn verschiedene Prognosen stimmen, dass 70% der AmerikanerInnen in 15 der 50 Bundesstaaten leben werden. Das würde dazu führen, dass 30% der AmerikanerInnen 7o der 100 Mitglieder des Senats bestimmten und im Senat nicht mehr die Vielfalt der USA repräsentiert würde.

Die Wahl des Präsidenten würde ebenfalls tangiert. Der Präsident wird nicht direkt durch das Volk gewählt, sondern durch ein Wahlleutegremium. Es genügt einem Präsidentschaftskandidaten eine einfache Mehrheit in einem Bundesstaat, um alle Wahlleute des Staates zu erhalten. Alle Stimmen des oder der unterlegenen Kandidaten fallen dann weg (The winner takes all). Auch hier erhalten die bevölkerungsarmen Staaten, die in der Regel landwirtschaftlich geprägt sind, ein besonderes Gewicht, weil sie in der Regel eine überproportionale Anzahl von Wahlleuten besitzen. Das spielt den Republikanern in die Hände, die traditionell in diesen Staaten stark sind. Auf diese Weise ist es möglich, dass ein Kandidat bzw. Kandidatin die Präsidentschaft erringen kann, die nicht die Mehrheit der WählerInnen in den USA erhalten hat. Das ist zuletzt bei der Wahl von Donald Trump gegen Hillary Clinton passiert. Es bekommen dann auch die Staaten ein besonderes Gewicht, bei denen weder Republikaner noch Demokraten eine strukturelle Mehrheit haben (Swinging States). Die Verzerrung des Wählervotums wird verstärkt durch den Trend vieler WählerInnen, in die urbanen Zentren an der Ostküste- und Westküste des Landes zu ziehen. Der Trend hat viel mit dem Ziel vieler WählerInnen zu tun, in den Dienstleistungszentren zu leben. Strukturelle Veränderungen des Wirtschaftslebens, die dem Trend zugrunde liegen, führen auch dazu, dass zunehmend Jobs Hochschulabschlüsse erfordern, und die soziale Perspektive anderer Jobs unzureichend bleibt. Die Kapitalverwertung spielt sich heute weniger im ländlichen Raum, sondern mehr in den urbanen Zentren ab. Das hat zur Folge, dass ein Kandidat oder Kandidatin für die Präsidentschaft auch dann noch gewinnen kann, wenn er prozentual weit hinter dem Gegenkandidaten, der die urbanen Zentren beherrscht, zurückliegt.

Insgesamt ist das Wahlsystem der USA sowohl in Bezug auf den Senat als auch auf die Präsidentenwahl fragwürdig, weil keine Legitimation durch eine Bevölkerungsmehrheit erfolgt. Notwendig wäre eine grundlegende Reform des Wahlsystems, was allerdings sowohl eine zweidrittel Mehrheit im Senat als auch Repräsentantenhaus erforderte und zudem noch eine Zustimmung von Dreiviertel aller Bundesstaaten. Das ist nach Lage der Dinge auf absehbare Zeit nicht machbar. Die USA stehen somit vor der Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie und vor der Gefahr der Zuspitzung der Krise des politischen Systems. Donald Trump versprach seinen WählerInnen ihnen die Macht gegen die politischen Eliten zurückzugeben. Er meint dabei aber nicht das ganze Volk, sondern eigentlich nur die weiße, christlich-konservativ und zum Teil fundamentalistisch geprägte Mittelschicht, die über keinen Hochschulabschluss verfügt. Dieser Teil der Bevölkerung befürchtet einen sozialen Abstieg und ist offen für eine rechtspopulistische Ideologie. Trump schürt deswegen Bedrohungs- und Opfergefühle in der US-Gesellschaft und proklamiert eine Law-and-Order-Politik. Außenpolitisch schürt er insbesondere Bedrohungsgefühle gegenüber China und macht China für die Corona-Pandemie verantwortlich (China-Virus). Innenpolitisch kann das in der US-Verfassung verankerte Recht auf privaten Waffenbesitz dazu führen, dass die private Militarisierung weitergeht und ein gefährliche Gewaltpolitik in die Wege leitet. Das Wahl-und Repräsentationssystem der

USA könnte nicht nur zu einer politischen Blockade führen, sondern vor dem Hintergrund des umfassenden Waffenbesitzes zu gewaltsam ausgetragenen Konflikten und bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Notwendig wäre heute eine vertiefte Diskussion über marktradikale Politik, die zu massiven Ungleichheiten führt, über die Überwindung des Rassismus in den USA und über die Gefahr des Verlustes der Demokratie mit fatalen nationalen und internationalen Folgen.

(1)Siehe zu diesem Aufsatz: Friedrich Steinfeld, Gefährliche Gemengelage im US-Wahlkampf, Sozialismus aktuell vom 10.10.2020.