Nachrichten aus dem Kreisverband

Die Akkumulation des BRD-Kapitals

Dr.Peter Behnen

DER VERLAUF DES AKKUMULATIONSPROZESSES DES BRD-KAPITALS (1).

Vorbemerkung

Die Aufgabe von Marxisten ist es, den Verlauf des Akkumulationsprozesses des BRD-Kapitals mit den Kategorien der Marxschen Theorie zu erfassen. Dabei müssen die von der bürgerlichen Statistik und Wirtschaftstheorie vorgelegten Daten alternativ interpretiert werden mit dem Ziel, zu präziseren Ergebnissen und Einschätzungen als die bürgerliche Ökonomie zu kommen. Es wird davon ausgegangen, dass das Marxsche System der Kritik der politischen Ökonomie der bürgerlichen Ökonomie überlegen ist, weil nicht den für die bürgerliche Ökonomie üblichen Verkehrungen und Mystifikationen aufgesessen wird. Im Gegenteil, die Marxsche Theorie ist in der Lage, die Verkehrungen und Mystifikationen der bürgerlichen Ökonomie aus der Struktur der kapitalistischen Produktionsweise zu erklären und auf die wesentlichen Strukturzusammenhänge dieser Wirtschaftsordnung zurückzugehen. Die Verwendung bürgerlicher Statistik für eine marxistischen Analyse wird allerdings selbst von einem Teil der Marxistinnen und Marxisten in Frage gestellt. Zu diesem Zweck sind vier Punkte aufzuführen.

1.Durch die bürgerliche Statistik werden Preisgrößen zur Verfügung gestellt, die bei entsprechender Interpretation einen Zugang zu Wertgrößen der Marxschen Theorie ermöglichen.

2.Die bürgerliche Statistik fasst die Transaktionen der Volkswirtschaft zu Gesamtgrößen zusammen und ist dabei empirisch-statistischen Imperativen verpflichtet. Im Gegensatz dazu bringt es die bürgerliche Wirtschaftstheorie nur zu einer Systematisierung der erscheinenden Oberfläche der kapitalistischen Produktionsweise (2).

3.Schon in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde vom Projekt Klassenanalyse und danach auch von Stephan Krüger das System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) zum Ausgangspunkt genommen, durch mehrere Schritte transformiert, fiktive Buchungen eliminiert und nicht-mehrwertproduzierende Sektoren (Staat und private Haushalte) von den mehrwertschöpfenden Tätigkeiten strikt getrennt. Das gilt auch für Tätigkeiten in Unternehmen, die nicht mehrwertschaffend sind, zum Beispiel Kauf und Verkauf, Werbung und Marketing.

4.Auf diese Weise ist es möglich, ökonomische Kategorien der Marxschen Theorie, zum Beispiel die Mehrwertrate, Profitrate etc., zu ermitteln und in ihrem Verlauf zu betrachten (Wertrechnung).

 

Die Entwicklungsphasen des Akkumulationsprozesses des BRD-Kapitals im Einzelnen.

Die Nachkriegsphase

Wir haben es nach dem 2.Weltkrieg mit der historisch zweiten Epoche eines langfristig beschleunigten Wachstums des Kapitals zu tun. Sie gründete sich auf dem sogenannten Fordismus, der seine Anfänge in den USA der 20er- Jahre des letzten Jahrhunderts besaß und durch neue Rationalisierungen im Produktionsprozess (Fließband, Elektromotor als Antrieb etc.) die Vorherrschaft Großbritanniens auf dem Weltmarkt beendete. Großbritannien war bis dahin in der 1.Phase beschleunigten Wachstums des Kapitals unumschränkter Herrscher auf dem Weltmarkt gewesen. Unter den USA als neuem Weltmarktführer entwickelte sich nach dem 2.Weltkrieg in der Bundesrepublik ein sogenanntes „Wirtschaftswunder.“ Der Kern der Entwicklung war eine schnelle Akkumulation des Kapitals, bei der der Widerspruch der Mehrwertproduktion eine ruhige Bewegungsform aufwies. Das heißt, die produktivitätsbedingte Abnahme der wertschaffenden produktiven Arbeit (Industriearbeit und wertschöpfende industrielle Dienstleistungen) wurde überkompensiert durch das schnellere Wachstum des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Das hatte zur Folge, dass zwar die durchschnittliche Profitrate (m/c+v) tendenziell sank, aber wegen des Zuwachses der beschäftigten Arbeitskräfte (v) die Masse des gesamtwirtschaftlichen Profits zunahm und damit das Wirtschaftswachstum gesteigert wurde (3). Diese Entwicklung wurde flankiert durch eine Politik, die durch sozialstaatliche Regeln und Interventionen die Konsumnachfrage steigerte und das Geld- und Währungssystem weiterentwickelte (Bretton-Woods-System). Diese Politik wirkte sich dämpfend gegenüber zyklischen Krisen aus und förderte den Wirtschaftsaufschwung in der Bundesrepublik und anderen kapitalistischen Ländern.

 

Der Übergang von der beschleunigten Kapitalakkumulation zu der chronischen Überakkumulation in den 70er Jahren.

Mithilfe der Marxschen Theorie und der sogenannten Wertrechnung lässt sich genauer erklären, was vielen damaligen Zeitgenossen nicht verborgen geblieben war. Es war sichtbar, dass die beschleunigte Kapitalakkumulation zum Ende gekommen war. Sie wurde aus marxistischer Sicht durch eine Überakkumulation von Kapital abgelöst, eine Überakkumulation, die nicht kurzfristig behoben werden konnte, sondern durch die Struktur des Kapitalismus bedingt war. Sie weist eine fallende Profitrate und auch abnehmende Profitmasse auf, ist chronisch und tritt in allen Phasen des industriellen Zyklus auf. Der Zyklus ist seitdem charakterisiert durch einen Verdrängungswettbewerb der Kapitale, durch kürzere Aufschwünge und längere und tiefere Abschwünge sowie eine unzureichend wachsende Konsumnachfrage,

Die chronische Überakkumulation und ihre Phasen.

Am Beginn der ersten Phase stand die sogenannte Stagflation. Damit war gemeint, dass ein massives Ansteigen der Warenpreise mit einem ausbleibenden Wirtschaftswachstum zusammentraf. Das Ansteigen der Warenpreise war vor allem durch eine Steigerung der Rohstoffpreise (Erdöl) und durch noch ungebrochene Steigerungen der privaten und öffentlichen Konsumnachfragen hervorgerufen worden. Die stagnativen Tendenzen wurden auf der anderen Seite durch die beginnende chronische Überakkumulation des Kapitals hervorgerufen, das Strukturproblem des Kapitalismus also. An dieser Stelle hätten bereits Eingriffe in die Struktur des Kapitalismus vorgenommen werden müssen, z.B. Formen der Investitionslenkung und Relativierung des Profitstrebens. Dazu war man aber nicht bereit und beließ es bei einfacher Konjunkturstabilisierung mit Strohfeuereffekten als Ergebnis. Es kam nicht zu einer Steigerung der Profitmasse und damit auch nicht zu einer dynamischen Investitionsentwicklung. Im Gegenteil, die Geldakkumulation an den Finanzmärkten wurde angeheizt, gewissermaßen im Vertrauen auf Kurssteigerungen an den Börsen und spekulativen Geldanlagen. Die Zentralbanken schalteten auf die Inflationsbekämpfung um, wodurch die Steigerung der Warenpreise gebrochen werden konnte und den Interessen der Geldanleger Genüge getan wurde.

Die zweite Phase der chronischen Überakkumulation war gekennzeichnet durch die staatliche Angebotspolitik, das heißt, eine Umverteilung von Löhnen und sozialen Leistungen zu Profiten. Die Zentralbankpolitik war auf eine harte Stabilitätspolitik umgeschwenkt mit dem Ergebnis, dass besonders die Geldanlagen gesichert wurden. Die Profiterosion wurde gestoppt und günstige Voraussetzungen auch für Investitionsausweitungen im industriellen Sektor geschaffen. Die Angebotspolitik ging also zu Lasten der Lohnabhängigen und der Sozialleistungsempfänger und befeuerte auf der anderen Seite die Kurse an den Börsen und die Preise an den Immobilienmärkten. Es begann die goldene Zeit der Vermögensverwalter, zum Beispiel Black Rock ab 1988. Der Finanzsektor boomte und kreierte immer wieder neue Finanzprodukte.

In der dritten Phase hatte sich der Finanzkapitalismus durchgesetzt, eine anhaltende Konsumschwäche bei privaten Haushalten wirkte auch negativ zurück auf den industriellen Sektor. Dafür sorgten auch die Deregulierungen am Arbeitsmarkt, der Sozialabbau und die Umverteilungen von unten nach oben. Es zeigte sich, dass die Massennachfrage bei Konsumgütern und staatliche Ausgaben hochgefahren werden mussten. Die etablierte Politik setzte auf eine Steigerung der Konsumkredite, in den USA nannte man das „assed based wealth-driven-accumulation.“ Hinzu kam eine Steigerung der staatlichen Verschuldung. Diese Politik endete mit einer Immobilienblase und dem Beinahe-Zusammenbruch des Bank- und Finanzsystems 2007/2008. Er wurde gerade noch verhindert durch eine weitere Verschuldung des Staates und eine ultralockere Geldpolitik der Zentralbanken. Es sollte eine weitere Verschuldung der Banken und privaten Haushalte abgefangen werden, um die Investitionen der Unternehmen und Nachfrageentwicklung der Haushalte wieder in Gang zu bringen. Dieses Unterfangen hatte nach der Finanzkrise nur mäßigen Erfolg, weil neben den Strukturproblemen des Kapitalismus und der neoliberalen Politik ( schwarze Null) die Verbreitung des Corona-Virus ab 2020 Maßnahmen erzwang, die die staatliche Verschuldung massiv in die Höhe treiben. Inzwischen warnt sogar der Internationale Währungsfonds (IWF) vor dramatischen Folgen, die die Weltwirtschaftskrise der 1929/30er Jahre in den Schatten stellen könnten. Das betrifft im Augenblick vor allem die USA, wo sich inzwischen 17 Millionen AmerikanerInnen arbeitslos gemeldet haben und die Zahl der Nichtkrankenversicherten die 50 Millionenmarke überschritten hat. Die Zentralbank der USA (FED) hat Maßnahmen angekündigt, die in einer Kredithöhe von 2,3 Billionen US-Dollar resultieren könnte. Als Reaktion auf die Corona-Krise haben die meisten kapitalistischen Länder staatliche Hilfsprogramme aufgelegt, die auf ein Fünftel der jährlichen Wirtschaftsleistung geschätzt werden. Das wird zu spürbar höheren Zinssätzen, massiver Geldschöpfung der Zentralbanken und möglicherweise zu einer Erosion des Geldsystems führen.

 

Kapitalismus oder sozialistische Marktwirtschaft?

Die bisher dargestellten Probleme des kapitalistischen Akkumulationsprozesses ergaben sich durch die Struktur des Kapitalismus, die neoliberale Politik und mit der Corona-Pandemie einer Ausnahmesituation. Es wurde keine neue beschleunigte Kapitalakkumulation erreicht, im Gegenteil, die Gesellschaft ist noch tiefer in eine krisenhafte Entwicklung getrieben worden. Die chronische Überakkumulation in Verbindung mit einer gesellschaftlichen Ausnahmesituation haben die historische Begrenztheit der kapitalistischen Produktionsweise deutlich werden lassen. Die Stabilisierung der Massennachfrage und eine öffentliche Investitionspolitik könnte allerdings den Marsch in die Deflation und Depression verlangsamen.

Es geht in Zukunft um eine prinzipielle Alternative:

Entweder um eine umfassende Entwertung und Vernichtung des gesellschaftlichen Kapitalstocks mit dem Ziel, auf Dauer wieder ein höheres Niveau der gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate herzustellen oder um eine Überwindung der Dominanz kapitalistischer Produktionsverhältnisse, eine Relativierung der Entwicklung der Profitrate und eine Überwindung der Verselbstständigung der Akkumulation des Geldkapitals. Das Letztere wäre ein Weg zu einer sozialistischen Marktwirtschaft und der Beginn des Aufbaus eines demokratischen Sozialismus. Hier müsste das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln das Wirtschaftsleben dominieren. Durch und gerade auf Basis der Marxschen Theorie lassen sich diese Verhältnisse näher beschreiben. Es muss klar werden, dass die Überwindung der Corona-Pandemie keine Rückkehr zu den alten Verhältnissen erlaubt, sondern an den Ansatzpunkten zu einer neuen Produktionsweise angeknüpft werden muss, die die kapitalistische Produktionsweise selbst bereitstellt. Das sind Anknüpfungspunkte hin zu einer Wirtschaftsdemokratie.

(1)Grundlage des Aufsatzes: Stephan Krüger, Die Entwicklung des deutschen Kapitalismus von 1950-2013, VSA-Verlag Hamburg, 2015 und verschiedene Aufsätze aus Sozialismus aktuell aus dem Jahre 2020.

(2)Ausgenommen ist die Keynessche Theorie, die in besonderer Weise mit der Marxschen Theorie kompatibel ist.

(3)m=Mehrwert, c=konstantes Kapital (Produktionsmittel), v=variables Kapital (Arbeitskräfte), m/c+v=Profitrate. Der Mehrwert stammt aus v.