Nachrichten aus dem Kreisverband

Die Linke und die russische Aggressionspolitik

Peter Dr.Behnen

DR. PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

DIE LINKE UND DER RUSSISCHE AGGRESSIONSKRIEG.

 

Im Jahre 2014 gab es einen Appell von mehr als 60 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien, die eine neue Entspannungspolitik einforderten. Zu ihnen gehörten u.a. Roman Herzog, Antje Vollmer, Wim Wenders und Mario Adorf. Heute haben wir wieder einen Krieg in der Ukraine, betrieben durch eine imperiale Politik russischer Eliten. Die Ablehnung und Empörung über diese Politik sind in den Parteien und Medien zu Recht einhellig. Auch der Vorstand unserer Partei hat sich unmissverständlich geäußert. Er sagt Nein zum Krieg und Bruch des Völkerrechts durch die russische Politik und Ja zu einer sofortigen Beendigung der Kampfhandlungen, zur Deeskalation und umfassenden Abrüstung. Er stellt zu Recht fest, dass ein Kampf um geopolitische Einflußsphären seit Jahren auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung ausgetragen wird. Deswegen fordert der Parteivorstand:

1.Die Anerkennung der Souveränität und Grenzen der Ukraine durch Russland.

2.Den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine

3.Ein Zurück zum völkerrechtlich verbindlichen Minsker Abkommen

4.Den Aufbau einer militärfreien Sicherheitszone an der russisch-ukrainischen Grenze

5.Keine Osterweiterung der Nato und Waffenlieferungen in Krisengebiete, d.h. auch nicht in die Ukraine. Waffenlieferungen in die Ukraine, die die Bundesregierung nun ins Auge gefasst hat, sind ohne Perspektive und hat verheerende Folgen für die Ukraine angesichts der Übermacht der russischen Armee.

Was allerdings in der Erklärung unseres Parteivorstandes ganz fehlt, und was die Aufgabe der Partei Die Linke wäre, wäre genau die historischen Knotenpunkte der Entwicklung hin zu Krieg zu benennen, und vor allem auch die Darstellung der Elemente des autoritären Kapitalismus in Russland, die immer zur außenpolitischen Aggression und Krieg führen können. Die historischen Knotenpunkte sind die Punkte, die sich nach dem Zerfall der Sowjetunion und ihres Staatensystems im Jahre 1990 entwickelt haben.

1.Der 2+4- Vertrag von 1990

Durch diesen Vertrag wurde mit der Zustimmung der vier Alliierten (USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien) und den beiden deutschen Staaten die Einheit Deutschlands wiederhergestellt. Sie kam aber, nach Aussage vieler Teilnehmer des Prozesses, nur deswegen zustande, weil eine Nichterweiterung der Nato nach Osteuropa versprochen wurde. Lediglich die neue Bundesrepublik sollte ein Mitglied der Nato werden.

2.Die Nato-Russland Grundakte von 1997.

Der wesentliche Kern der Grundakte besteht darin, dass die Nato und Russland eine enge Kooperation und Abrüstung konventioneller und atomarer Waffen verabredeten. Außerdem wiederholte die Nato, dass sie die kollektive Sicherheit auch dadurch gewährleisten will, dass sie die kollektive Verteidigung „eher dadurch wahrnimmt, dass sie die erforderliche Interoperabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung gewährleistet, als dass sie zusätzlich substantielle Kampftruppen dauerhaft stationiert.“ Das wurde allgemein so verstanden, dass man sich bei der Stationierung der Nato in Osteuropa zurückhalten wolle, ohne neue Stationierungen grundsätzlich auszuschließen. Fakt war allerdings alsbald, dass die Nato 14 Staaten in Ost- und Südosteuropa in die Organisation aufnahm und damit ihren geopolitischen Einflussbereich erheblich ausbauen konnte.

3.Das Minsker Abkommen von 2015

Das Minsker Abkommen von 2015 muss als ein Schlüssel zum Verständnis der aktuellen Krise und des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine angesehen werden. Es enthält 13 Punkte, die zur Beendigung des Bürgerkrieges in der Ostukraine führen sollten. Es sollten ein Waffenstillstand, eine Autonomielösung für die prorussischen Teile des Donbass und direkte Gespräche zwischen den prorussischen Separatisten und der ukrainischen Regierung stattfinden. Außerdem sollte die Wiedereingliederung der abtrünnigen Provinzen in das ukrainische Staatsgebiet und Wahlen in den Provinzen abgehalten werden. Das alles geschah im Rahmen einer massiven militärischen Überlegenheit Russlands gegenüber der Ukraine und dem Versuch der russischen Politik, über eine Autonomie der Provinzen einen weiteren Einfluss auf die ukrainische Politik zu erlangen.

Es zeigte sich jedoch bald, dass das Minsker Abkommen, das unter russischem Druck zustande gekommen war, von der politischen Klasse der Ukraine nicht umgesetzt werden würde. Es wurde deutlich, dass sich seit dem Frühjahr 2015 bei der Umsetzung kaum etwas bewegte und die ukrainische Führung die Autonomie der Provinzen unter den Minsker Bedingungen verzögern wollte. Es konnte auch keine Waffenruhe in der Ostukraine erreicht werden. Die Blockade des Abkommens führte zu einem Stellungskrieg, der sieben Jahre dauerte und, weil der Bürgerkrieg in der Ostukraine weitergeführt wurde, ca.14000 Tote forderte. Am 15. Februar 2022 forderte die russische Duma Wladimir Putin auf, die inzwischen selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk anzuerkennen. Nach der Anerkennung und der Aufkündigung des Minsker Abkommens kündigte Putin die sogenannte „Spezialoperation im Donbass“ an, was auch eine Kriegserklärung an die gesamte Ukraine bedeutete.

Warum die russische Regierung unter Putin inzwischen eine imperiale Politik betreibt, lässt sich letztlich nur erklären, wenn man sich die gesellschaftlichen Strukturen Russlands anschaut, die sich seit dem Niedergang der Sowjetunion und ihres Staatensystems ab 1990 entwickelt haben. (1) Zuerst sollte in der Ära Gorbatschow versucht werden, eine Veränderung des Sozialismus unter den Aspekten Glasnost und Perestroika zu erreichen, also transparente demokratische Veränderungen. Es setzten sich allerdings Wirtschaftsreformer durch, die eine radikale Veränderung hin zur Marktwirtschaft auf ihre Fahne geschrieben hatten. Sie erachteten eine weitgehende Entstaatlichung der Wirtschaft, die Aufgabe von Preiskontrollen sowie eine Liberalisierung des Außenhandels für zentral. Dieses Vorhaben sollte in einem 500-Tage-Programm verwirklicht werden. Heraus kam eine Ablösung Michail Gorbatschows durch Boris Jelzin, der Gorbatschow vorwarf, die Reformen nur halbherzig umzusetzen. Unter Jelzin erfolgte dann zwischen 1992-94 durch eine Schocktherapie die Einführung des Kapitalismus in Russland. Schocktherapie bedeutete alle gesellschaftlichen Bereiche ungeschützt den Marktgesetzen zu überlassen. Diese Schocktherapie stürzte die russische Gesellschaft innerhalb weniger Jahre in eine soziale Katastrophe. Es verarmte ein Drittel der russischen Bevölkerung als direkte Folge der unkontrollierten Privatisierung der Wirtschaft. Auf der anderen Seite nutzten ehemalige hohe Parteifunktionäre, Beamte und Wirtschaftsführer die Gelegenheit sich illegal zu bereichern. Im Zusammenhang mit der schnellen Eingliederung Russlands in den Weltmarkt bildete sich im russischen Transformationsprozess eine nationale Unternehmerschaft heraus, die auch als Oligarchie bezeichnet wurde. Die ökonomische Basis der Oligarchen bestand vor allem in dem Export von Rohstoffen, zum Beispiel Erdöl, Erdgas, Aluminium und Energie. Die Herausbildung einer nationalen Unternehmerschaft ermöglichte der russischen Regierung ab etwa der Jahrtausendwende ein autoritär-kapitalistische Entwicklung unter Einbeziehung der Oligarchen zu vollziehen. Es entstand eine Abhängigkeit von den Oligarchen insbesondere durch die Übernahme staatlicher Aktienpakete durch private Banken zwecks Haushaltfinanzierung des Staates (AKS-Finanzierung). Durch die AKS-Finanzierung schaffte der russische Staat eine Klasse von Vermögensbesitzern, den besagten Oligarchen. Es entwickelte sich eine Herrschaftselite, bei der Oligarchen, Politiker und hohe Beamte auf das Engste miteinander verbunden sind.

Im Jahre 1997/98 gerieten verschiedene ostasiatische Länder in eine tiefe Wirtschaftskrise. Das verlangsamte Wachstum in der Region traf die russische Wirtschaft aufgrund ihrer einseitigen Ausrichtung auf den Rohstoffexport schwer. Dennoch war die Wirtschaftskrise, die jetzt auch Russland traf, nicht primär auf die Asienkrise zurückzuführen, sondern auf die neoliberale Wirtschaftspolitik, die die Privatisierung des Staatseigentums und die Deregulierung der Finanzmärkte mit einschloss. Dazu gehörte auch eine Vernachlässigung der Weiterentwicklung des realen Sektors und der massive Abbau staatlicher Regulierung des Wirtschaftslebens. Die Krise erbrachte nun einen Wendepunkt in dem Verhältnis von Staat und Wirtschaft und den Beginn der Herrschaft Wladimir Putins. Es kam zu einem neuen Kompromiss zwischen der Regierung und den Oligarchen, der Staat übernahm nun eine aktivere Rolle in der Organisation der Wirtschaft. Das heißt allerdings nicht, dass er seine Rolle als Lobbyist für nationale Unternehmen aufgab. Putin machte deutlich, dass er die Einkommens- und Vermögensverhältnisse unangetastet lasse, solange die Regierung die Loyalität der Oligarchen erhalte. Die autoritäre Form des Kapitalismus wurde ausgebaut, der staatliche Gewalt- und Überwachungsapparat verstärkt und oppositionelle Aktivitäten massiv bekämpft. Eine Militarisierung der russischen Innen- und Außenpolitik mit dem Angriff auf die Ukraine als bisheriger Höhepunkt sind die logische Folge dieser Politik.

In der wissenschaftlichen Diskussion wird, wenn von der russischen Gesellschaft die Rede ist, auch vom „crony capitalism“ geredet, ein Kapitalismus also, der eine starke Verbindung von Staat und Oligarchen aufweist. Allerdings ist es bisher gelungen, dieses System zu stabilisieren und trotz hoher Aufwendungen für Rüstung und einem repressiven Staatsapparat die öffentlichen Haushalte stabil zu halten. Bei einem Ölpreis von ca. 50 US-Dollar wurden sogar beträchtlichen Reserven gebildet. Dieses finanzielle Gleichgewicht machte Russland bisher nur begrenzt anfällig für eine Krise aufgrund der westlichen Sanktionspolitik. Auch der Ausschluss aus dem Swiftsystem ist nur ein Machtmittel des Westens auf Zeit und würde das Bestreben Russlands, aus dem Dollar auszusteigen, befördern.

Welche Schlussfolgerungen sollten aus dem bisher Gesagten vonseiten der Staaten des demokratischen Kapitalismus gezogen werden?

1.Wichtig ist die Einschätzung, dass der Überfall auf die Ukraine für die Regierung Putin und seine Oligarchen möglicherweise eine strategische Fehlkalkulation darstellt, denn es ist auch für Russland mit einem verlustreichen Krieg und einem möglicherweisen Umschwung in der Stimmung der russischen Bevölkerung zu rechnen.

2.Die russische Militärmaschinerie durch die Unterstützung der Ukraine mit Waffen und Kriegsgerät zu stoppen wird wenig erfolgreich sein sondern den Krieg verlängern. Auch die Aufrüstung der Bundesrepublik mit 100 Mrd. Euro wird nicht zur Lösung des Konflikts beitragen.

3.Auch die Einschränkungen im Energiehandel haben begrenzte Wirkungen und sind ein zweischneidiges Schwert, weil rund die Hälfte aller Erdölimporte und 90 Prozent des Erdgases Europas aus Russland kommen.

4.Es muss alles getan werden, um die Bevölkerung in der Ukraine vor wirtschaftlicher Not und den Folgen von Flucht und Vertreibung materiell und finanziell zu unterstützen.

5.Es müssen alle diplomatischen Möglichkeiten genutzt werden, zu einem Ende der Kriegshandlungen zu kommen. Es wird nach dem Ende der aktuellen Kriegshandlungen darauf ankommen, einen neuen Übergang zu gemeinsamer Sicherheit und Kooperation zu finden. Inwieweit das gelingt, wird stark davon abhängen, wie stark die internationalen Beziehungen und die zivile Ordnung beschädigt worden sind. Es wird dann auch nicht ohne tiefgreifende Reformen in den internationalen Organisationen abgehen und es wird auch über die „Rolle der Volksrepublik China auf dem Weg zu einer neuen Weltordnung …ebenfalls zu reden sein.“ (2)

 

(1) Siehe zum Folgenden: Felix Jaitner, Einführung des Kapitalismus in Russland, VSA-Verlag, Hamburg 2014.

(2) Siehe Bischoff/Siebecke: Was folgt auf Putins Krieg? Sozialismus aktuell vom 27.2.22