Nachrichten aus dem Kreisverband

DR. PETER BEHNEN SCHREIBT: Memorandum 2009

DAS MEMORADUM 2009 – VON DER KRISE IN DEN ABSTURZ ?

Die Memorandum- Gruppe, die alljährlich ein Gegengutachten zum Gutachten des Sachverständigenrates herausgibt, stellt in diesem Jahr zu Beginn fest, dass wir inzwischen in der Bundesrepublik  eine Rezession durchlaufen, die in eine Depression überzugehen droht. Außerdem haben wir eine tiefgreifende Erschütterung des Finanzsystems. Neben diesen beiden Problemen verblassten inzwischen die Krisen der Umwelt und des Sozialstaats. Wenn alle Probleme zusammen genommen werden, geht die Memorandum-Gruppe davon aus, dass die gesamte neoliberale Gesellschaftskonzeption gescheitert ist.

Für die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik handelt es sich um einen konjunkturellen Abschwung, der schon 2008 begann und nicht nur die Bundesrepublik sondern alle großen Industrienationen sowie Schwellen-und Entwicklungsländer erfasst hat. Er macht sich besonders negativ für die Bundesrepublik als exportorientierter Nation geltend. In der Elektroindustrie, im Maschinenbau und in der Autoindustrie kam es zu gewaltigen Einbrüchen. Es rächt sich nun, aus der Sicht der Memogruppe, dass in den letzten Jahren stets die binnenwirtschaftliche Nachfrage unzureichend entwickelt wurde, was vor allem  damit zusammenhängt, dass schon seit zehn Jahren die Reallöhne in Deutschland nicht mehr gestiegen sind. Der Druck auf die Löhne sei maßgeblich verantwortlich für die aktuelle Rezession, unter anderen als Folge der Agenda 2010.
Die Rezession wird nun von der größten Finanzkrise der letzten 80 Jahre überlagert. Als treibenden Hintergrund der Spekulationskrise sehen die Mitglieder der Memogruppe die Tatsache, dass in den letzten drei Jahrzehnten durch eine Umverteilung von unten nach oben und die Privatisierung der Rentensysteme Finanzvermögen angehäuft wurden, die hohe Renditen beanspruchen. Es sei also ein Druck der Anleger entstanden, der immer riskantere Spekulationsgeschäfte hervorgerufen habe. Inzwischen sei ein Punkt erreicht, bei dem durch Wertverluste bei Wertpapieren und Kreditverlusten ein Höchstmaß an Unsicherheit erzeugt worden sei, das die Kreditvergabe der Banken zum Erliegen gebracht habe. Da das Finanzsystem aber die Aufgabe habe, einen reibungslosen Zahlungsverkehr zu gewährleisten, die Spareinlagen zu sichern und die Kreditversorgung aufrecht zu erhalten, müsse der Staat unter allen Umständen eingreifen, um diese Funktionen sicherzustellen. Starke Staatseingriffe seien allerdings auch notwendig, um entschlossen die andauernde Umweltkrise und der Ausdünnung des Sozialstaats entgegenzutreten. Diese beiden Punkte seien auf Grund der Wirtschafts- und Finanzkrise zu stark in den Hintergrund getreten.

Die herrschende Politik und der Einstieg in eine grundlegende Alternative.

Die Bundesregierung hat die wirtschaftliche Schwierigkeiten 2008/ 2009 lange unterschätzt. Aus ihrer Einschätzung folgerte sie im November 2008, dass nur ein relativ gering dimensioniertes Konjunkturprogramm aufzulegen sei. Es handelte allerdings um ein Programm, das im Wesentlichen steuerliche Entlastungen für Unternehmen beinhaltete, die keine Zusatznachfrage hervorriefen. Erst im Januar 2009 beschloss die Bundesregierung ein Konjunkturpaket, das für 2009 und 2010 zusätzliche öffentliche Ausgaben und Einnahmeausfälle von 48 MRD. Euro vorsieht, mit dem Schwerpunkt Bildung, Gesundheit und Verkehr. Trotzdem stellt die Memorandum- Gruppe fest, weil der Umfang der öffentlichen Investitionen viel zu gering sei, dass das Programm kaum einen nachhaltigen konjunkturellen Impuls auslösen werde. Als Skandal bezeichnet es die Memogruppe, dass die Bundesregierung gleichzeitig eine Verschuldungsbegrenzung ab 2011 und ein Verschuldungsverbot ab 2020 einführen will. Dieses Vorhaben sei ökonomisch und fiskalisch unsinnig und Ausdruck eines unveränderten neoliberalen Marktfundamentalismus.

Im Unterschied zur Konjunkturpolitik hat die Bundesregierung bei der Stabilisierung der Finanzmärkte massiv eingegriffen. Der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung ( SoFFin) wurde mit 500 MRD. Euro ausgestattet. Diese gigantische Summe wurde von der offiziellen Politik damit gerechtfertigt, dass ohne einen solchen Schutzschirm das Finanzsystem zusammenzubrechen drohe. Es zeigte sich allerdings bald, dass die Angebote der Bundesregierung, sowohl für Bürgschaften als auch Kapitalzuschüsse, nur zögerlich durch die Banken angenommen wurden. Von Seiten der Banken wurde vielmehr die Forderung erhoben, eine „ Bad-Bank“ einzurichten, die alle „ toxischen“ Wertpapiere aufkaufen solle. Dieses Problem ist von der Bundesregierung auch nach dem Londoner Finanzgipfel noch nicht gelöst worden. Auch nicht erfüllt wurde die Forderung der alternativen Wirtschaftspolitik, der Staat möge über eine Verstaatlichung im Sinne des Art. 14 GG die Kontrolle über die Geschäftspolitik von Banken zu gewinnen versuchen. Das sogenannte „ Rettungsübernahmegesetz“ wird von der herrschenden Politik eher als ein Ausnahmegesetz angesehen, um die Hypo Real Estate zu retten.

Gegenüber den halbherzigen und zum Teil kontraproduktiven Maßnahmen der Bundesregierung schlägt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik eine Politik vor, die den schnellen Einsatz eines groß dimensionierten Programms gegen die Krise mit der Weichenstellung für eine grundlegend andere Wirtschaftsordnung verbindet. Zur Überwindung der Finanzmarktkrise und Rückführung des Volumens des Finanzsektors schlägt die Memogruppe folgende Maßnahmen vor:

1. Verstaatlichung und Kontrolle wesentlicher Banken zur Sicherung der Grundfunktionen des Finanzsektors.
2.  Stabilisierung der Märkte durch Verbot solcher Finanzpraktiken, die sich als besonders destabilisierend erwiesen haben, zum Beispiel die Verbriefung von Kreditpaketen, Leerverkäufe, spekulatives Short-Selling oder Off- Shore- Geschäfte.
3. Reform des Bankensystems durch radikalen Abbau des Wertpapiergeschäftes, Einschränkungen des Interbankensystems und Korrektur der Bestimmungen von Basel II.
4. Entschleunigung der Kapitalmärkte durch Besteuerung von Finanztransaktionen und Rückführung der Termingeschäfte auf ihre ursprüngliche Funktion der Preissicherung.
5. Verbesserung der internationalen Kooperation bei der Finanzaufsicht. Entwicklung einer gemeinsamen Währungspolitik mit  Nationen außerhalb der Eurozone.

Neben diesen Maßnahmen der Finanzpolitik schlägt die Memogruppe eine alternative Konjunkturpolitik vor, die der ökonomischen Stabilisierung und dem Einstieg in den Umbau unserer Wirtschaftsordnung dienen soll. Ein 110 MRD. Euro Programm für die nächsten 5 Jahre vornehmlich für öffentliche Investitionen, Bildung, Umwelt und Kultur soll diese Zielsetzung verfolgen. Außerdem wird vorgeschlagen, die Arbeitsplatzlücke durch Arbeitszeitverkürzungen im privaten und öffentlichen Sektor zu verringern. Als Alternative zum vorherrschenden Sozialstaatsabbau schlägt die Gruppe eine progressive Sozialstaatsreform vor, die zu qualitativ hochwertigen Dienstleistungen von gut ausgebildeten Arbeitskräften führt.
Die Finanzierung all  dieser Maßnahmen stellt sich die Memogruppe auf folgende Weise vor:

1. Eine vorübergehende öffentliche Neuverschuldung soll die Konjunktur wieder in Gang bringen, die wirtschaftliche Entwicklung stabilisieren und die ökologischen Schäden vermindern.

2. Mittelfristig muss die sozial ungerechte und ökonomisch kontraproduktive Einkommens- und Vermögensverteilung verändert werden. Dazu bedarf es einer Erhöhung der Steuern auf hohe Privateinkünfte, Vermögen und Erbschaften und eines energischen Vorgehens gegen Steuerhinterziehung und Wirtschaftskriminalität.
3. Auf Dauer ist ein höheres Niveau staatlicher Ausgabenpolitik unabdingbar, das im Regelfall durch staatliche Einnahmen zu finanzieren ist.

Eine gründliche Richtungsänderung der Wirtschafts- und Sozialpolitik wird gegen harten politischen Widerstand durchgesetzt werden müssen. Eine breite soziale Mobilisierung und eine umfassende Demokratisierung des Wirtschaftslebens ist deswegen die wichtigste Voraussetzung für eine neue Entwicklungsrichtung in der Politik.