Nachrichten aus dem Kreisverband

Hintergründe der russischen Aggressionspolitik

Dr.Peter Behnen

DR.PETER BEHNEN

DIE LINKE FREIBURG

 

DIE HINTERGRÜNDE DER IMPERIALEN RUSSISCHEN POLITIK (1).

Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist nur zu verstehen, wenn einerseits die historischen Knotenpunkte, die zum Krieg führten, benannt werden und andererseits die autoritären Umbrüche in Russland nachverfolgt werden, die die Aggressionspolitik hervorgerufen haben. Diese autoritären Umbrüche wurden sehr deutlich durch Felix Jaitner in verschiedenen Veröffentlichungen dargestellt.

Die historischen Knotenpunkte sind die Punkte, die sich nach dem Zerfall der Sowjetunion und ihres Staatensystems entwickelt haben.

1.Der 2+4-Vertrag von 1990

Durch den Vertrag wurde die Einheit Deutschlands wieder hergestellt. Vertragspartner waren die vier Alliierten (USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien) und die beiden deutschen Staaten (BRD und DDR). Nach Aussagen verschiedener Konferenzteilnehmer kam der Vertrag nur deswegen zustande, weil keine Nato-Osterweiterung versprochen wurde. Lediglich die neue Bundesrepublik sollte als Ausnahme Nato-Mitglied werden dürfen.

2.Das Budapester Memorandum von 1994

Die vier Alliierten verpflichteten sich, gemeinsam gegenüber Kasachstan, Belarus und der Ukraine deren Souveränität zu achten als Gegenleistung für den Verzicht auf Atomwaffen. Alle drei Staaten waren durch die Auflösung der Sowjetunion zu Atomwaffen gekommen. Die Rechtsverbindlichkeit des Abkommens wurde allerdings von Beginn an in Frage gestellt.

3.Die Nato-Russland-Grundakte von 1997

Die Nato und Russland vereinbarten eine enge Kooperation bei der Abrüstung konventioneller und atomarer Waffen. Die Grundakte wurde allgemein so verstanden, dass sich die Nato bei der Stationierung von Truppen und Waffensystemen in Osteuropa zurückhalten wolle, ohne allerdings eine Garantie für die Nichtstationierung zu geben. Fakt war jedoch bald, dass die Nato 14 Staaten in Osteuropa und Südosteuropa in ihre Organisation aufnahm.

 

4.Das Minsker Abkommen von 2015

Es muss als Schlüssel zum Verständnis der russischen Aggression gegen die Ukraine angesehen werden. Es sollte zur Beendigung des Bürgerkriegs in der Ostukraine dienen, einen Waffenstillstand erbringen und zu Verhandlungen zwischen den prorussischen Teilen des Donbass und der ukrainischen Regierung führen. Es war geplant, auf massiven russischen Druck eine Autonomie der abtrünnigen Provinzen zu erreichen. Das Abkommen wurde von den Regierungen Frankreichs und der Bundesrepublik sowie den Präsidenten Ukraines und Russlands ausgehandelt. Das Abkommen wurde allerdings weder von ukrainischer Seite noch von der russischen Seite und den prorussischen Teilen des Donbass wirklich umgesetzt, im Gegenteil, die Blockade des Abkommens führte zu einem siebenjährigen Stellungskrieg im Donbass mit vielen Opfern. Im Jahre 2022 wurde das Abkommen von Wladimir Putin aufgekündigt, was den Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine bedeutete.

Es bleibt die Frage, welche autoritären Umbrüche in Russland stattgefunden hatten, die zur Aggressionspolitik der russischen Regierung führten? (2)

Der russische Angriff auf die Ukraine im Jahre 2022 kam für viele Beobachterinnen und Beobachter überraschend. In der westlichen Berichterstattung kamen schon lange vorher die Machtverhältnisse in Russland und ihre Widersprüche nicht mehr in den Blick, indem man sich auf die Figur Putins und seiner BeraterInnen fixierte. Mit dem Amtsantritt Putins im Jahre 2000 wurde häufig eine Trennlinie gezogen, während die Zeit vorher allgemein als Zeit des demokratischen Aufbruchs in Russland gesehen wurde. Dadurch wurde übersehen, dass die Machtverhältnisse in Russland schon sehr früh nach dem Untergang der Sowjetunion durch eine enge Verbindung von Staat und Oligarchen geprägt waren. Durch die neoliberalen „Reformer“ der Jelzin-Administration vollzog sich mittels einer Schocktherapie der Übergang in den Kapitalismus, das heißt, alle gesellschaftlichen Bereiche wurden ungeschützt den Marktgesetzen überlassen. Gegen dieses Vorgehen der Jelzin-Administration entstand Widerstand, der aber mit Gewalt bekämpft wurde. Im Jahre 1993 ließ Jelzin das Parlament beschießen und konnte danach eine autoritäre präsidentielle Verfassung durchsetzen. Damit war das Ende des Demokratisierungsprozesses im Lande eingeleitet. Eine Folge davon war 1994-1996 der Krieg gegen die abtrünnige Provinz Tschetschenien. Ab 1995 erfolgte gegen den Widerstand des Parlaments eine schnelle Privatisierung von staatlichen Unternehmen, vor allem von Unternehmen aus dem Öl- und Gassektor. Einige Kapitalisten, sogenannte Oligarchen, erhielten besonderen Einfluss auf die Staatstätigkeit. Auf der anderen Seite verarmten wegen des Privatisierungsprozesses größere Teile der russischen Bevölkerung. Die Transformation der russischen Wirtschaft in eine kapitalistische durch die Schocktherapie erzeugte einen gewaltigen Niedergang, es erfolgte ein Prozess der Deindustrialisierung. Viele Unternehmen konnten sich nicht gegen die ausländische Konkurrenz behaupten, lediglich im Rohstoffsektor sowie im Eisen- Stahl- und Chemiesektor war eine internationale Konkurrenzfähigkeit gegeben. Das Ergebnis war die Konzentration der russischen Wirtschaft auf die Ressourcenextraktion für den Export an kapitalistische Hauptländer.

Seit der Übernahme des Amtes des Ministerpräsidenten durch Wladimir Putin ab dem Jahre 2000 wurden die Machtverhältnisse in Russland neu geordnet. Felix Jaitner bezeichnet diese Ordnung als oligarchisch-etatistische Ordnung. Das bedeutet, dass von dem unregulierten neoliberalen Kapitalismus der 90er Jahre mit Jelzinscher Prägung Abstand genommen wurde und eine Stärkung staatlicher Organe erfolgte. Führende Kräfte der Oligarchie orientierten sich um mit dem Ziel der Modernisierung der Wirtschaft. Für politisch oppositionelle Personen und Gruppen kam eine noch stärkere Unterdrückung zustande, national-konservative und auf den Binnenmarkt orientierte Teile der Oligarchie erlangten die Oberhand. Ihr Ziel war eine Reindustrialisierung des Landes und eine Importsubstitutionspolitik, obwohl die Abhängigkeit vom Export von Rohstoffen erhalten blieb. Die Stellung Russlands als Rohstoffexporteur für die hegemonialen Staaten des Kapitalismus geriet somit in die Kritik und es entstand die Forderung, Russland solle sich stärker auf den postsowjetischen und asiatischen Raum ausrichten. Die Veränderung der oligarchisch-etatistischen Ordnung vollzieht sich nach Felix Jaitner etwa seit 2014, damit verbunden war auch, wie gesagt, eine autoritäre Verschärfung der innerrussischen Verhältnisse. Das alles schlug außenpolitisch in eine imperiale Politik Russlands um, das belegen die militärische Einverleibung der Krim sowie die russische Intervention in Georgien, Syrien, Kasachstan und die Ukraine. Die Neuausrichtung in der Innen- und Außenpolitik stärkte die Position Putins, der Stabilität in der ökonomischen Krise und die Rückkehr Russlands in die internationale Politik verkörperte. Mit seinem Amtsantritt wurde ein neues Verhältnis von Staat und Oligarchie geschaffen und gleichzeitig bestimmte gesellschaftliche Schichten, zum Beispiel Staatsangestellte, erfolgreich integriert. Die neue russische Bourgeoisie versuchte und versucht ihre Herrschaft abzusichern, vollzog eine enge Kooperation mit Putin und seinen Anhängern und ist auch ein wichtiger Grund für die aggressive Politik Russlands nach Außen.Putin stärkt dabei seine Rolle als Vermittler zwischen verschiedenen Fraktionen der Oligarchie und versucht Konflikte im Innern Russlands nach Außen zu tragen. Aus Sicht Felix Jaitners droht auf dieser Basis keine neue friedliche Koexistenz mit anderen Staaten, sondern eine zunehmende imperiale Konkurrenz um wirtschaftliche und politische Einflusssphären.

(1)Siehe vor allem folgende Texte Felix Jaitners:

Einführung des Kapitalismus in Russland, VSA-Verlag 2014

Zeitschrift Sozialismus Heft 6/22 S.10-14

Zeitschrift für Marxistische Erneuerung Z 130 S.28-35

(2) Der folgende Teil lehnt sich stark an Z 130 S.28-35 an.