Nachrichten aus dem Kreisverband

Moderne Geldtheorie vom Kopf auf die Füße gestellt

Dr.Peter Behnen

DIE MODERN MONETARY THEORY (MMT) VOM KOPF AUF DIE FÜSSE GESTELLT.

Kritikern der Modern Monetary Theory (MMT) wird zuweilen vorgeworfen, die Theorie nicht korrekt darzustellen. Es ist deswegen notwendig, die Darstellung führender Vertreter der MMT als Grundlage der Kritik heranzuziehen, für die Bundesrepublik sind das Michael Paetz, Dirk Ehnts und Paul Steinhardt (1). Paetz und Ehnts behaupten, die Theorie basiere „auf einer realistischen Beschreibung des heutigen Geldsystems statt einer artifiziellen Darstellung, wie sie in akademischen Kreisen oft üblich ist“ (2). Sie beanspruche, „Zusammenhänge einer kapitalistischen Geldwirtschaft korrekt zu beschreiben und zu erklären“ (3). Steinhardt, Paetz und Ehnts gehen von einem entwickelten Geldsystem der bürgerlichen Gesellschaft aus. Die Reserven bei der Zentralbank und die Sichteinlagen der Bankkunden entstünden per Buchungssatz aus dem Nichts. An dieser Stelle bereits kommt das Geld als Fundamentalkategorie ins Spiel und muss damit begonnen werden, die MMT vom Kopf auf die Füße zu stellen. Für die Vertreter der MMT ist das Geld nichts weiter als eine Schöpfung der Regierung und der Zentralbank. Sie behandeln das Problem auf einer Ebene, die tiefere Grundlagen der Geldbestimmung und bestimmte historische Weichenstellungen nicht mehr erkennen lässt. Eine systematische Entwicklung des Geldes muss Geld als ein „naturwüchsig im gesellschaftlichen Austauschprozess entstehendes Äquivalent des Wertes der auf dem Markt befindlichen Waren verstanden (werden)“ (4). Geld ist also als ein notwendiges Resultat einer auf Arbeitsteilung privater Warenproduzenten beruhendem System gesellschaftlicher Arbeit anzusehen und verkörpert den Wert gesellschaftlicher Arbeit. Es ist auf den doppelten Charakter gesellschaftlicher Arbeit zurückzuführen, als konkret-nützliche Arbeit materialisiert sie sich in Konsumtionsmitteln oder Produktionsmitteln, als allgemein gesellschaftliche Arbeit ist sie Teil der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und findet sie ihren Ausdruck im Wert der Waren. Da der Wert eine gesellschaftliche Eigenschaft ist findet er seinen Ausdruck im Geld, ursprünglich als Goldware oder Silberware und im Laufe der Zeit ausschließlich in Gold. Es folgte erst dann eine gesellschaftliche Befestigung des Goldverkehrs über den Staat.

Es gehört nun zu den Aufgaben von Marxisten heute die genaue Vermittlung von der Geldware Gold über das Repräsentativgeld mit Golddeckung bis zum Repräsentativgeld ohne Golddeckung und zum Buchgeld bei Banken und Zentralbanken aufzuzeigen. Von dieser komplizierten Vermittlung haben weder Paetz noch Ehnts und Steinhardt eine Vorstellung. Sie schließen sich einfach der Geldbestimmung beim deutschen Ökonomen Georg-Friedrich Knapp (1842-1926) und beim österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter (1883-1950) an. Geld ist bei ihnen nichts anderes als ein Geschöpf der Rechtsordnung, das dem Ziel der Steuerzahlung dient, bei Schumpeter noch verallgemeinert auf das Bankengeld. Auf dieser Basis geht die Verkehrung ökonomischer Zusammenhänge bei der MMT weiter. „Es sind also nicht die Steuern, welche die Ausgaben des Staates finanzieren, sondern die Ausgaben des Staates finanzieren die Steuerzahlung, indem sie das nötige Einkommen schaffen“ (5). Die historische Entwicklung, die zeigt, dass der Staat erst Einnahmen schaffen muss um Ausgaben zu tätigen, diese Einsicht gilt für die Vertreter der MMT nicht mehr. Der Ausweg der MMT sieht so aus: „Die Regierung kann diese Zahlungsmittel einfach herstellen und damit bezahlen. Zwischen zahlen und finanzieren besteht ein riesiger Unterschied…, sondern zeigt, dass der Schöpfer der Währung einfach (die Zahlung) so tätigen kann...“ (6) Daraus folgt die Unmöglichkeit einer Staatspleite. „Eine Zentralbank kann aber nicht zulassen, dass ihre Regierung Pleite geht, weil dies die Stabilität des Finanzsystems gefährden würde“(7). Falls die Zentralbank „ihre Regierung aber tatsächlich hängen lassen würde, könnte sie über eine Gesetzesänderung von der Regierung aber jederzeit unter ihre Kontrolle genommen werden“(8).

Unter dieser Bedingung, dass der Staat keinerlei Budgetbeschränkungen habe, könne er seine Ausgaben ausweiten, selbst wenn eine inflationäre Entwicklung die Folge sei. Die Finanzierung der expansiven Staatsausgaben sei kein Problem, denn die Zentralbank zusammen mit den Geschäftsbanken seien als autonome Schöpfer des Geldes in der Lage, einen ökonomischen Multiplikatorprozess auszulösen und die Geldschöpfung grenzenlos zu steigern. An dieser Stelle hat allerdings bereits J.M. Keynes in den 30er Jahren seine Bedenken angemeldet. Er hatte eine unbegrenzte Geldschöpfung nur unter extremen Modellvoraussetzungen für möglich gehalten. Es müssten ein geschlossenes Banksystem, keine Auslandsbeziehungen, nur unbare Zahlungsmöglichkeiten und keine Barreserven der Banken gegeben sein. Außerdem müssten sich die Banken im Gleichschritt bewegen. Es ist klar, dass diese Voraussetzungen in der Realität nicht gegeben sind. Gerade die Ausblendung der internationalen Konkurrenz durch Paetz und Lehnts muss auch Steinhardt als Mangel konstatieren. „Nicht zu widersprechen ist an dieser Stelle der Hinweis, dass mit der Fiskalpolitik Wechselkursveränderungen verbunden sein können, die möglicherweise als problematisch zu erachten ist“ (9). Denn jede Inflationierung einer nationalen Währung, die das Maß anderer Währungen auf den Devisenmärkten überschreitet, erbringt eine Steigerung der Preise importierter Waren, eventuell eine Verschlechterung der nationalen Zahlungsbilanz und destabilisierende Kapitalbewegungen. Die Vielzahl von Schuldenkrisen in verschiedenen Ländern sprechen hier eine deutliche Sprache. Beispielhaft genannt seien hier die Asienkrise 97/98, die Russlandkrise 98, die Brasilienkrise 99, die Türkeikrise 2000 und die Argentinienkrise 2001/2002. Das zeigt, dass weder Banken noch Zentralbanken autonom handeln können. Die Banken hängen an der Leine der Zentralbanken und diese wiederum werden in ihrer Politik durch das Wechselkursgeschehen, die Zahlungsbilanzen, massive Kapitalbewegungen und Marktzinssätze bestimmt.

Die Operation „vom Kopf auf die Füße stellen“ geht weiter, wenn näher der sogenannte Überakkumulationszyklus betrachtet wird, der etwa seit der Mitte der 70er Jahre begonnen hat. Eine expansive Ausgabenpolitik des Staates und die Geldpolitik der Zentralbanken stoßen nun auf strukturelle Schwierigkeiten der privaten Kapitalverwertung. Im Gegensatz zum prosperierenden Kapitalismus der 50er und 60er Jahre machen sich jetzt der Fall der durchschnittlichen gesellschaftlichen Profitrate bei stagnierender bis sinkender Profitmasse des gesellschaftlichen Kapitals geltend. Zudem kommt es zu verwertungsbedingten Grenzen der Kreditnachfrage und zu Einkommensgrenzen der privaten Haushalte. Die Konsequenz ist, dass massiv Kapitale auf die Finanzmärkte umgeleitet werden mit der Hoffnung auf höhere Renditen und Spekulationsgewinne.

Bis zur Corona-Krise war für die etablierte Politik Sparpolitik angesagt, jetzt ist jedoch selbst für Dogmatiker der „schwarzen Null“ die staatliche Verschuldung Trumpf. Diese Politik kann allerdings nach der Corona-Krise nicht ad Infinitum weitergeführt werden, vor allem dann, wenn die systemimmanenten Verwertungsblockaden des privaten Kapitals weiter bestehen. Die Zentralbanken stecken in einem Dilemma: Betreiben sie einen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik, um die Überhitzung der Finanzmärkte zu vermeiden, befördern sie wieder deflationäre Tendenzen an den Warenmärkten. Setzen sie aber die expansive Geldpolitik fort, riskieren sie eine Überhitzung der Finanzmärkte mit Spekulationen und eventuellen Zusammenbrüchen von Finanzmärkten. Ein vor dem Hintergrund des Handelskrieges zwischen den USA und China erfolgender Zusammenbruch internationaler Finanzmärkte könnte ein Abgleiten des Kapitalismus in barbarische Verhältnisse bedeuten.

Die Vertreter der MMT sehen das entspannter. Das können sie nur, weil nach den Fundamentalfehlern bei der Geldbestimmung bei ihnen der Rückbezug auf die Bedingungen der privaten Kapitalverwertung ganz fehlt. Die Überakkumulationskrise ist für sie kein Begriff, die Vertiefung und Verlängerung der Krisenzyklus und die Zunahme internationaler Instabilität ist bei ihnen nicht im Fokus. Ihre These einer unbegrenzten Geldschöpfung des Staates bzw. der Zentralbanken hat zur Folge, dass illusorische Vorstellungen über die Entwicklungsfähigkeit des heutigen Kapitalismus verbreitet werden.

Das Fazit der gesamten Operation MMT lautet: Sie ist eine Vulgärökonomie im Marxschen Sinne, weil sie letztlich an der Oberfläche der Gesellschaft verbleibt. Sie hält sich auf der Ebene der Märkte auf, einer Ebene, die laut Marx durch die Mystifikation der gesellschaftlichen Verhältnisse gekennzeichnet ist. Den Vorwurf, er und seine Mitstreiter betrieben Vulgärökonomie, weist Paul Steinhardt weit von sich (10). Er meint, das träfe auch nach Marx nur auf die Klassik und Neoklassik zu. An dieser Stelle wird deutlich, dass die verschiedenen Ebenen, die Marx analysiert, von ihm nicht auseinandergehalten werden. Marx hat stufenweise die Entwicklung des ökonomischen Bewusstseins und seine Verkehrung von der einfachen Warenzirkulation, zum Produktionsprozess und Zirkulationsprozess des Kapitals bis hin zum Gesamtprozess und der Oberfläche der ökonomischen Verhältnisse entwickelt. Am Ende steht das Bewusstsein, das in verdrehter Form die ökonomischen Zusammenhänge widerspiegelt, völlig unabhängig von Klassik, Neoklassik oder anderen Theorierichtungen. Einige dieser Verkehrungen galt es für die MMT aufzuzeigen, unabhängig davon, dass manche Einzelforderungen der Vertreter der MMT auch von der Linken unterschrieben werden können.

(1)Siehe Zeitschrift Sozialismus Heft 9/2019 und Makroskop vom 15.11.2019

(2) Sozialismus a.a.O. S. 5

(3) Steinhardt Makroskop a.a.O. S.3

(4) Zeitschrift Sozialismus Heft 11/2019 S.52

(5) Sozialismus Heft 9/2019 S.6

(6) a.a.O. S.6

(7) a.a.O. S.6

(8) a.a.O. S.7 (9) Makroskop a.a.O. S.4 (10) a.a.O. S.5